Alterspolitik: neue Bedarfszahlen lassen Gemeinden aufhorchen

Alterspolitik: neue Bedarfszahlen lassen Gemeinden aufhorchen

Die letzten Monate mit Corona haben in vielen Einrichtungen für leere Betten gesorgt. Doch dieses Bild dürfte sich in den nächsten Jahren verändern. Die Bedarfszahlen nehmen stark zu.

Der aktuelle Obsan-Bericht «Bedarf an Alters- und Langzeitpflege in der Schweiz» erschien Anfang Mai und zeigt deutlich, dass die Themen Versorgung und Alterspolitik mehr Aufmerksamkeit erhalten müssen. Ein kurzer Einblick in die Zahlen der Studie (S. 6)

  • «In der Spitex-Pflege werden die Klientinnen und Klienten bis ins Jahr 2040 um +101 921 zusätzliche Personen ansteigen, was einem Wachstum von +52% entspricht. […] In einem ähnlichen Ausmass zeigt sich das prozentuale Wachstum im Bereich der Spitex-Betreuung, wo die Anzahl der Klientinnen und Klienten ebenfalls um mehr als die Hälfte (+54%; +47 038 Personen) ansteigen wird.»
  • «Da eine betreute Wohnform in der Schweiz in ungefähr einem von zehn Fällen durch mehr als eine Person belegt ist, könnte dieser Anstieg +13 353 neu zu schaffenden Wohnungen entsprechen.»
  • «Am stärksten wird der Bedarf an Alters- und Langzeitpflege (+69%) in den Pflegeheimen wachsen, wo bis ins Jahr 2040 +54 335 zusätzliche Langzeitbetten benötigt werden. Dies entspricht […] schätzungsweise +921 zusätzlichen Pflegeheimen bis 2040 gegenüber dem aktuellen Bestand.»

Laut Obsan heisst es: «Das schnelle und starke Wachstum der älteren Bevölkerung stellt die Alters- und Langzeitpflegestrukturen vor grosse Herausforderungen». Die letzten Monate mit Corona haben in vielen Einrichtungen für leere Betten gesorgt. Doch dieses Bild dürfte sich in den nächsten Jahren verändern. Die Bedarfszahlen nehmen stark zu. Für die Gemeinden sind es nicht nur abstrakte Zahlen: es geht um die Bedürfnisse ihrer Bürgerinnen und Bürger und um das Gemeindebudget. Deutlich wird auch, dass keine Organisation oder Behörde mehr isoliert am Thema arbeiten kann und die Massnahmen vielseitig sein müssen.

Diese Handlungsfelder sehen wir bei Gemeinden:

  • Steuerung: Akteure zusammenbringen und Angebotsentwicklung und -vermittlung gezielt steuern
  • Ressourcen: Es braucht Fachwissen/Kompetenzen sowie eine klare Aufgaben- und Verantwortungszuteilung
  • Vernetzung: Die Bürgerinnen und Bürger sollen mit ihren Bedürfnissen im Zentrum stehen. Dazu müssen alle Akteure an einem Strick ziehen, auch regional.
  • Partizipation: Die Bevölkerung kennt ihre Bedürfnisse und kann sich aktiv an der Lösungsfindung und Umsetzung beteiligen. Nutzen Sie diese wertvollen Ressourcen.

Es lohnt sich jedoch, sich beim Kanton die detaillierteren Zahlen für die Region zu holen. Diese können teilweise stark vom nationalen Trend abweichen. Diskutieren Sie danach kommunale und regionale Handlungsmöglichkeiten.

 

- - - Kommentar - - -

Wir haben Prof. Dr. habil. Ulrich Otto, Experte des interdisziplinären Netzwerks Age Research, drei Fragen zur Studie gestellt:

Ulrich Otto, welchen Eindruck haben Sie von der Studie?

Wieviel Pflegebedarf kommt auf uns zu und wieviel Pflegeheimbetten oder Spitexstunden braucht es demnach? Endlich eine gründliche Analyse mit aktuellen Daten – das ist gut. Die Obsan-Studie macht den hohen Handlungsbedarf ohne jeden Zweifel klar: Tempo und Ausmass sind ausserordentlich!

Wo sehen Sie Schwächen?

Bei den diskutierten Lösungsalternativen aber führt ihre Stärke – methodische Redlichkeit – dazu, dass sie leicht zu statisch gelesen werden kann: Nein, nur die Pflegestufen 1 bis 2 oder 3 aus den Heimen herauszuhalten, ist eben nicht schon die Lösung, auch wenn dann „nur“ 53% mehr Betten bis 2040 nötig wären statt fast +70%. Nein, auch mit nur 700 zusätzlichen Pflegeheimen sollten wir uns als Gesellschaft nicht abfinden.

Was braucht es Ihrer Meinung nach jetzt?

Die Studie ist eindringlicher Weckruf und zugleich Aufforderung, bei den Lösungen ihren engen methodischen Rahmen zu überschreiten. Denn Sie blendet betreuende Angehörige (transparent) ebenso aus wie die vielen Bausteine von Caring Communities, die für die Altersversorgung (inkl. Betreuung) matchentscheidend werden: Machen wir hier Tempo – bei substanzieller Angehörigenstützung, und guten Mehrschulternsettings, bei neu gedachtem intensiv betreutem Wohnen zuhause und flexiblen Wohnpflegeformen, bei nachbarschaftlicher und technischer Assistenz. Und überall: bei guten Bedingungen für alle darin Engagierten – ob Profis oder Zivilgesellschaft.

Zur Studie

 

- - - Diskussion der Studienresultate - - -

Am 19.08.2022 diskutieren wir von 12.15 bis 13.15 Uhr mit den Autor:innen Sonia Pellegrini und Olivier Pahud vom Schweizerischen Gesundheitsobservatorium (Obsan) die Studienresultate und laden Sie herzlich zum Zoom-Treffen ein.

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