Ingo, warum ein Zielbild «koordinierte Angebotsgestaltung im Altersbereich»?

Ingo, warum ein Zielbild «koordinierte Angebotsgestaltung im Altersbereich»?

Ingo Kratisch leitet die Abteilung Alter des Kantons St.Gallen und hat die Entwicklung eines Zielbildes für die integrierte Versorgung im Alter initiiert. Im Interview beantwortet er uns drei Fragen zum Projekt.

Was war der Anlass für das Zielbild?
Es ist bekannt, dass ältere Menschen mehrheitlich so lange wie möglich in ihrem vertrauten Zuhause leben möchten. Damit dies möglich ist, bedarf es ab einen bestimmten Zeitpunkt ein wirksames Unterstützungsprogramm, bei dem das private Umfeld sowie externe Unterstützungsangebote an Bedeutung gewinnen. CURAVIVA Schweiz hat mit der Vision Wohnen im Alter, Wohn- und Pflegemodell 2023 (Version 1, 2016) und dem sozial- und lebensraumorientierten Ansatz (Version 2, 2020) aufgezeigt, dass es zukünftig bedarfs- und bedürfnisgerechte Angebotsstrukturen benötigt, damit ältere und hochbetagte Menschen so lange wie möglich in ihrem vertrauten Umfeld mit einer hohen Lebensqualität verbleiben können. Im Kanton St.Gallen gab es mehrere Gründe sich vertiefter diesem Thema zu widmen. Zum einen deuten die Zahlen der Bevölkerungsentwicklung darauf hin, dass in knapp 20 Jahren ca. 25% der dann knapp 600'000 Einwohner im Kanton St.Gallen älter als 65 Jahre sein werden. Somit ist davon auszugehen, dass es mehr ältere Menschen geben wird, die Unterstützung im Bereich Beratung, Betreuung und Pflege benötigen. Gleichzeitig gehen die dafür notwenigen Ressourcen aufgrund von Pensionierung zurück. Zusätzlich belegen aktuelle Zahlen, dass im Kanton St.Gallen der Anteil an leicht pflegebedürftigen Bewohnenden (maximal 40 min Pflege pro Tag) in den Betagten- und Pflegheimen mit knapp 23 Prozent sehr hoch ist, im Vergleich zum schweizerischen Durchschnitt der ca. 14 Prozent beträgt. Somit war es notwendig, sich intensiver mit einer bedarfs- und bedürfnisgerechten Angebotsgestaltung zu beschäftigen. Wir haben diese gemeinsam mit GERONTOLOGIE CH und der Hochschule Luzern in Angriff genommen. 

Was ist euer Ziel damit?
Im Kanton St.Gallen ist die Alterspolitik eine gemeinsame Aufgabe von Kanton und Gemeinden. So wurde beispielsweise im Jahr 2022 das aus dem Jahr 1996 stammende Altersleitbild durch die Gestaltungsprinzipien Alterspolitik ersetzt. Schnell war klar, dass es für die zukünftige Umsetzung von bedarfs- und bedürfnisgerechten Angebote ein «einheitliches» Bild braucht, welches die zukünftige Herangehensweise darstellt und an dem sich alle zentralen Akteure orientieren können. Aus meiner Sicht zeigt das Zielbild sehr gut auf, wie sich der Unterstützungsgrad älterer Menschen in drei Phasen aufteilen lässt und welche Koordinationsaufgaben den zentralen Akteuren zum jeweiligen Zeitpunkt zukommen. Es bildet somit eine gute Grundlage für die zukünftige Gestaltung der Koordination und Kooperation der Angebote für ältere und hochbetagte Menschen. Aufbauend auf einem gemeinsamen Grundverständnis sollen in den nächsten Jahren die Angebote gemäss dem Zielbild der integrierten Angebotsgestaltung gestaltet werden, damit sich der Anteil der leicht pflegebedürftigen Bewohnenden in den Betagten- und Pflegeheimen reduziert und noch mehr ältere Menschen so lange wie möglich in ihren eigenen vier Wänden leben können.

Was sind nun die Herausforderungen im weiteren Prozess?
In einem weiteren Schritt gilt es zu prüfen, wie das Modell erfolgreich umgesetzt werden kann, welche notwendigen Voraussetzungen dafür geschaffen und welche Hürden genommen werden müssen. Dabei erscheinen uns zwei Aspekte bedeutsam. Zum einen bedarf es eine bestmögliche Einbindung der Beteiligten im Sinne eines partizipativen Ansatzes. Anderseits müssen sich die Umsetzungsmassnahmen den altbekannten Kriterien des Artikels 32 KVG, der Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit orientieren. In welchem Umfang eine gesetzliche Anpassung für eine flächendeckende Umsetzung notwendig ist und welche Fördermassnahmen zielführend sind, bedarf es in einem nächsten Schritt zu klären.

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